a3BAU Ausgabe 6/2014:
Nach ständiger Rechtsprechung werden Zulieferer von Rohstoffen oder Bestandteilen regelmäßig nicht als Erfüllungsgehilfen des Bauunternehmens angesehen. Nach neuerer Rechtsprechung ist dies jedoch dann der Fall, wenn die Anlieferung des Materials allein Sache des Werkunternehmers ist und als Bestandteil des Werkvertrages zwischen AG und Bauunternehmen zu erachten ist.
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Die Klägerin (AG) ist Eigentümerin und Betreiberin der Seilbahn „Schwarze-Schneid“ im Ski-Gebiet Sölden. Sie beauftragte das beklagte Bauunternehmen mit den Betonarbeiten zur Herstellung von Fundamenten bei der Mittel- und Bergstation. Die Baustellen waren nur mit dem Hubschrauber zu erreichen. Das Bauunternehmen beauftragte deshalb ein Flugunternehmen mit der Durchführung entsprechender Transportflüge für Beton und anderes Material. Das Betriebshandbuch des Flugunternehmens, das von der obersten Zivilluftbehörde genehmigt war, enthielt unter anderem folgende Regelung:
"Das Fliegen entlang von Hochspannungsleitungen, Seilbahnen und Aufstiegshilfen ist verboten. … Der Flugweg ist so zu wählen, dass bei einer eventuellen Auslösung … durch die herabfallende Last weder Personen noch Sachen gefährdet werden."
Es war gängige Praxis im Seilbahnbau, dass Hubschrauber mit Außenlasten über in Betrieb befindliche Seilbahnen sowie über Straßen und Wanderwege flogen. Der Polier des Bauunternehmens fragte den Betriebsleiter der Klägerin, wie der Hubschrauber fliegen solle. Der Betriebsleiter teilte mit, dass Ski-Pisten und Wanderwege gemieden werden sollten. Für den Polier der Beklagten war sohin klar, dass über die Liftanlage zu fliegen war. Er gab diese Information an den Piloten des Flugunternehmens weiter. Der Pilot flog in weiterer Folge etwa zehn Rotationen, wobei die Betonkübel an einem etwa dreizehn Meter langen Lastgehänge des Hubschraubers eingehängt wurden. Pro Rotation wurden rund 680 bis 700 kg transportiert.
Als der Pilot um etwa 13:00 Uhr neuerlich in Richtung Bergstation abhob und die Seilbahn überflog, löste sich die transportierte Außenlast samt Lastgehänge und prallte aus großer Höhe auf den talwärts führenden Förderstrang der Liftanlage. Ursache des Außenlastverlustes war eine Fehlfunktion der Auslösevorrichtung.
Durch den Aufprall geriet das Seil der Bahn in starke Schwingungen, sodass eine Gondel abstürzte und Fahrgäste aus einer anderen Gondel stürzten. Neun Fahrgäste erlitten tödliche Verletzungen. Der Pilot wurde in weiterer Folge strafgerichtlich ua wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Die klagende Seilbahnbetreiberin begehrt vom Bauunternehmen € 201.114,02 sowie die Feststellung, dass das Bauunternehmen schuldig sei, ihr sämtliche Schäden aus dem Seilbahnunfall zu ersetzen.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht hingegen gab dem Klagebegehren Folge. Der Oberste Gerichtshof bestätigte die Haftung des Bauunternehmens für die Schlechtleistung des Transportunternehmens bzw. des Piloten. Für die Beurteilung der Gehilfenhaftung sei maßgebend, ob der Gehilfe (Pilot) bei der Verfolgung der Interessen des Schuldners (Bauunternehmen) tätig war. Zu fragen ist, ob der Gehilfe in das Interessenverfolgungsprogramm des Schuldners und damit in seinen Risikobereich einbezogen war. Der Erfüllungsgehilfe werde schon deshalb zu Haftungssphäre des Schuldners gezählt, weil dieser jenen in die Verfolgung seiner geschäftlichen Interessen selbst einbezogen und auf diese Weise zugleich das schuldhaft-schädigende Verhalten des Herangezogenen verursacht habe. Bediene sich ein Erfüllungsgehilfe des Schuldners seinerseits eines Erfüllungsgehilfen, so bedient sich auch der Schuldner dieser zweiten Person als seines Erfüllungsgehilfen und haftet für dessen Verschulden. Im gegenständlichen Fall habe die Ausschreibung der Beton- und Stahlbetonarbeiten den Passus „die Baustellen sind mit Hubschrauber erreichbar“ enthalten. Die Anlieferung des Beton mittels Hubschrauber sei sohin Teil des in der Folge an das Bauunternehmen erteilen Auftrags gewesen. Das Flugunternehmen sei deshalb mit Willen des Bauunternehmens tätig geworden. Die Tätigkeit des Hubschrauberpiloten erfolge sohin im Rahmen der vom Bauunternehmen zu erbringenden Werkleistung. Das unstrittige Fehlverhalten des Hubschrauberpiloten (Verletzung des § 16 AUCV) sei daher im Wege einer Erfüllungsgehilfenkette dem Bauunternehmen zuzurechnen. Das Bauunternehmen, das sich zur Erfüllung seiner vertragsgemäßen Werkleistung im Wege ein Erfüllungsgehilfenkette des Hubschrauberpiloten bediente, habe der Klägerin gegenüber für dessen Verschulden einzustehen.
Die oben geschilderte Entscheidung des OGH steht im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung, wonach ein Zulieferer von Rohstoffen oder Bestandteilen regelmäßig nicht als Erfüllungsgehilfe des Werkunternehmers anzusehen ist. Im gegenständlichen Fall qualifiziert der OGH das Flugunternehmen bzw. den Piloten als Erfüllungsgehilfen, weil die Anlieferung des Materials … allein Sache des Werkunternehmers ist und als Bestandteil des Werkvertrages zu erachten ist. Demnach ist nach OGH beim typischen Bauwerkvertrag jeder Lieferant Erfüllungsgehilfe, weil es zum typischen Inhalt eines Bauwerkvertrages gehört, dass das Bauunternehmen auch die Lieferung des Baumaterials schuldet. Nur bei Bauwerkverträgen, wo der Bauunternehmer kein Material beistellt, wäre der Lieferant nicht Erfüllungsgehilfe. Gerade bei solchen gibt es aber naturgemäß keinen Lieferanten! Die Tendenz der Rechtsprechung geht also eindeutig in Richtung einer Haftungsausdehnung zu Lasten des Bauunternehmens. Ein Bauunternehmen ist somit gut beraten, den Zulieferer sorgsam auszuwählen.